Die fleißige Schneiderin

Veröffentlicht in DER HANNOVERANER 06/2016

Sie gehört zu den erfolgreichsten Dressurreiterinnen der Welt und steht für feines Reiten: Dorothee Schneider. Sechs Hannoveraner gehören zum Beritt der renommierten Ausbilderin und Reiterin aus Framersheim.

 

Dorothee Schneider ist Aushängeschild der klassischen Dressurausbildung, feines Reiten und schonende Ausbildung ihre Markenzeichen. Und nicht nur das – sie sind ihr Schlüssel zum Erfolg. Die 47-Jährige gehört zu den erfolgreichsten Dressurausbilderinnen Deutschlands und wurde mit ihrem Hannoveraner Showtime (Z.: Heinrich Wecke, Stadthagen) in den deutschen A-Kader berufen. Somit gehört sie in den erlesenen Kreis derjenigen, die um einen Platz in der Dressurequipe für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro reiten. Dass Showtime das richtige Pferd dafür ist, hat er in der Vergangenheit bereits eindrucksvoll bewiesen. Seine Siege in Grand Prix und Special in München und in Fritzens-Schindlhof im vergangenen Jahr, seine beeindruckenden Leistungen in Stuttgart und sein Steigerungspotential in Dortmund machen ihn zur berechtigten Olympiahoffnung.

Bilderbuchkarriere
Mit konstanter Leistung hat Showtime in seiner jungen Karriere schon mehrfach geglänzt. 2011 vertrat der Sandro Hit/Rotspon-Sohn Deutschland bei den Weltmeisterschaften der jungen Dressurpferde und belegte dort Platz sechs. Auf Bundesebene trat der 2006 geborene Wallach fünf- und sechsjährig bei den Bundeschampionaten an und platzierte sich erfolgreich in den Finals. 2013 gelang der Sprung in die schwere Klasse, und Showtime löste souverän das Ticket zum Finale des Nürnberger Burgpokals. Die Qualifikationsprüfung gewann er, und in der Endabrechnung landete er auf Platz fünf. Das Jahr 2015 begann fulminant, der Übergang von Nachwuchs-Grand Prix-Prüfungen zur internationalen Meisterklasse war fließend und mit zahlreichen Siegen bedacht. Ein ganz besonderes Highlight war der Sieg im Grand Prix Special im Rahmen der Munich Indoors, den Showtime mit über 80 Prozent gewann. Die Zeichen stehen also gut, und mit Showtime hat Dorothee Schneider ein zweites Mal die Chance, Olympische Luft zu schnuppern. Showtime kennt sie in- und auswendig. Seitdem er drei Jahre alt ist, ist er im Beritt von Dorothee Schneider und genießt die Ausbildung in Framersheim auf dem Gestüt St. Stephan. Liebevoll wird er dort „Showi“ genannt. „Seinen Charakter würde ich als positiv schüchtern beschreiben. Er verfügt über schier grenzenlose Möglichkeiten und tut wirklich alles für seinen Reiter. Er ist motiviert, will alles richtig machen und lernt sehr schnell. Ich setze größte Hoffnungen in ihn“, schwärmt Dorothee Schneider. „Er macht seinem Namen alle Ehre“, ergänzt sie lächelnd, „er ist ein „schüchterner Showmaker“, der durch Leistung glänzt und daraus einen imposanten Auftritt macht!“

Neuland ist das Olympische Parkett für Dorothee Schneider nicht. Schon vor vier Jahren erfüllte sich ihr Kindheitstraum, und sie gehörte zum deutschen Quartett bei dem bedeutendsten Sportereignis der Welt. Damals reiste sie mit der Don Frederico/Warkant-Tochter Diva Royal an die Themse. Die Geschichte der eleganten Schwarzbraunen begann in Verden. Diva Royal aus der Zucht von Heinz Braul, Lehrte, wurde auf der Elite-Auktion im Oktober 2006 von Siegfried Beinroth, Braunschweig, ausgestellt und von Hans-Peter Fricke, Heeslingen, erworben. Mit Ausbilder Tom Berg fand sie den Weg in den Spitzensport und erhielt durch ihn die Ausbildung bis zur Klasse S. 2009 wechselte die Stute in den Besitz der Familie Roth und in den Stall von Dorothee nach Framersheim. Dann ging alles sehr schnell: Platz vier und fünf bei der Deutschen Meisterschaft in Balve setzte ein erstes Ausrufezeichen. Danach tanzten sich die beiden in Aachen in die Herzen der Richter und Zuschauer. Der damalige Bundestrainer Holger Schmezer entdeckte das Paar und der Dressurausschuss zögerte nicht lange und nominierte die beiden für London. Wenn Dorothee Schneider von Diva Royal und London erzählt, scheint sie das sehr zu berühren. Gänsehaut und feuchte Augen lassen erahnen, dass London ein emotionales Highlight in ihrer Karriere war. „Diva Royal hat keine Schwächen. Mit ihrem unerschütterlichen Takt, ihrer Lektionssicherheit und ihrer stets positiven Einstellung punktete sie – und strahlte im Viereck diese große Sicherheit und Souveränität aus. Hier stimmte einfach das Rund-um-Paket. Es machte unheimlich viel Spaß, sie zu präsentieren“, erzählt ihre Reiterin. In London wuchs das Paar über sich hinaus und ihre Leistungen wurden mit der Team-Silbermedaille belohnt. In der Einzelwertung belegten sie Platz sieben. In die Freude über diesen riesigen Erfolg mischte sich aber auch etwas Wehmut. Dorothee wusste, dass sie die Rappstute nach den Olympischen Spielen wieder an ihre Besitzerin Stella Charlott Roth abgeben würde. So war die Absprache. Weiterhin stand Dorothee als Trainerin ihrer Schülerin Stella zur Seite und freute sich über deren Erfolge wie den Sieg im Piaff-Förderpreis und die Verleihung des Otto-Lörke-Preises für das beste Nachwuchs-Grand Prix-Pferd. Heute ist die ausgezeichnete Leistungsstute stolze Mutter eines Stutfohlens.

Ohne großes „Tamtam“
Dorothee Schneider ist eine Dressurreiterin, die in der Öffentlichkeit steht. Dorothee Schneider ist jedoch eine Ausbilderin, die nicht die Öffentlichkeit sucht. Das wird auch beim Gespräch immer wieder deutlich. Zurückhaltend wirkt sie. Dabei sehr freundlich, zugänglich und interessiert. Aber ganz ohne „Tamtam“, ganz ohne Glitzer. Dabei muss sie gar nicht mit ihren Erfolgen hinter dem Berg halten. Nicht nur ihr Turnierkonto ist prall gefüllt, sondern auch ihre Vita liest sich eindrucksvoll. Sie ist Leiterin des Gestüts St. Stephan in Framersheim und hat dazu den Beritt und das Training der Pferde auf Gestüt Peterhof in Perl-Borg übernommen. Die Pferdewirtschaftsmeisterin Reiten sowie Zucht und Haltung gehört zu den renommiertesten Ausbilderinnen überhaupt. Zahlreiche Pferde führte die Tochter des bekannten Trakehner Züchters, Hengsthalters und Grand Prix-Richters Hans-Eberhard Schneider und seiner Frau Susanne an die Spitze. Auch wenn die Olympischen Spiele in London ein Meilenstein in Dorothee Schneiders bisheriger Karriere waren, waren sie nicht ihr Sprung aus den „junge-Pferde-Prüfungen“ ins Rampenlicht. Durch die regelmäßige Teilnahme an den Bundeschampionaten und Nominierungen für die Weltmeisterschaften der jungen Dressurpferde gilt sie als Championatsmacherin. Unvergessen ihr Championatssieg in Warendorf 2003 mit Dynamico v. Don Primero/Weltmeyer (Z.: Katja Bräuer, Lorsch). Auch beim Verdener Auktionspferd Horatio v. Hochadel/Matcho AA (Z.: Susanne Buroch, Holste) weckte sie alle Ressourcen und war erfolgreich in Warendorf und in Verden bei den Weltmeisterschaften der jungen Dressurpferde.

Daneben ist Dorothee Schneider in gleichem Ausmaß auf Grand Prix-Ebene erfolgreich und steht auch im großen Viereck in gewohnter Form vorne. Einen ganz besonderen Bezug hat sie zu ihrem Erfolgspferd Van Deyk, der heute 32 Jahre alt ist: Der Patricius xx/Ibiskus-Sohn wurde von ihrem Vater gezüchtet. Mit dem gekörten Prämienhengst erzielte sie über 60 Siege und Platzierungen bis Grand Prix. Diese Erfolge in allen Bereichen kommen nicht von ungefähr. Das Reiten hat sie von ihrem Vater Hans-Eberhard Schneider gelernt, der selbst erfolgreicher Ausbilder war. Bereits in jungen Jahren war Dorothee Schneider ehrgeizig und buhlte um jede Reitstunde bei ihm. Und das hat sich bezahlt gemacht. Er vermittelte ihr das Grundverständnis der Reiterei, das bis heute federführend das Training auf Gestüt St. Stephan bestimmt: die systematische, altersangemessene Ausbildung im Sinne der klassischen Skala der Ausbildung. Takt – Losgelassenheit – Anlehnung – Schwung – Geraderichtung – Versammlung sind nach wie vor grundlegende Elemente in der täglichen Arbeit mit den Pferden. „Schema F gibt es bei uns nicht. Jedes Pferd wird individuell geritten und gefördert. Für alle gilt allerdings die durchdachte muskel- und kraftaufbauende Gymnastizierung. Sie ist die unabdingbare Basis allen Reitens“, erzählt die Ausbilderin, die morgen um sieben auf dem ersten Pferd sitzt. Schwerpunkt ihrer Ausbildungsphilosophie ist das Fördern der natürlichen Anlagen. „Das Reiten mit größtmöglicher Sorgfalt steht ganz oben“, ergänzt sie. Unterstützung erhält Dorothee Schneider von ihren Trainern Monica Theodoresku, Hans Riegler und Jonny Hilberath, mit denen sie viel zusammenarbeitet. „Alle Pferde kommen zwei Mal am Tag raus. Ein Mal am Tag werden sie geritten und gymnastiziert, und danach dürfen sie sich auf dem Paddock wälzen, entspannen und austoben“, berichtet Dorothee Schneider. „Das ist ganz wichtig für die Psyche der Pferde. Dadurch sind sie ausgeglichener und entspannter. Das ist wichtig für den Sport, damit wir als Partner im Viereck zusammenwachsen und der Sport den Pferden Spaß macht“, unterstreicht sie.

Seit kurzer Zeit hat Dorothee Schneider einen weiteren Hannoveraner im Stall. Und auch der stammt von der Verdener Auktion. Es ist der achtjährige Falsterbo/Forrest xx-Sohn Faustus. Er wurde von Familie Linden, Pullheim, auf der Sommer-Auktion 2013 entdeckt und bis zur Klasse S ausgebildet. Vor kurzem hat Dorothee Schneider den aus der Zucht von Heino Bruns, Gödenstorf, stammenden Faustus, der bereits St.Georg-Platzierungen hat, übernommen. Zielrichtung: Grand Prix. Faustus ist Boxennachbar weiterer Verdener Auktionspferde. So steht kein Geringer als der amtierende Burgpokal-Sieger von 2015, Santiago, neben ihm. „Santiago ist ein ganz besonderes Pferd“, kommt Dorothee Schneider ins Schwärmen. Mit ihm gelang ihr das erste Mal der Sieg in dieser hochkarätigen Prüfungsserie. „Ich habe ihn zum ersten Mal in Dresden gesehen und war sofort von ihm beeindruckt. Sein damaliger Reiter Christian Flamm hat ihn toll ausgebildet. So konnte ich nahtlos am Balance-und Krafttraining, sowie an der Durchlässigkeit weiterarbeiten“, ergänzt sie. „Dass Santiago ein Pferd mit großer Zukunft ist, hat er in Frankfurt bewiesen.“ Nun geht es weiter mit Zielrichtung Louisdor-Preis für den Stedinger/Dacaprio-Sohn aus der Zucht von Klaus-Hermann Ehlen, Bremervörde. Sein Besitzer Alexander Stolzke ist sehr stolz darauf, wie schnell Santiago und Dorothee Schneider zueinander gefunden haben. Deshalb genießt nun auch sein Pferd Leopold SF v. Locksley II/Wolkenstein II (Z.: Klaus Kamps, Cuxhaven), die Ausbildung in Framersheim. Wie Santiago stammt Leopold SF von der Verdener Auktion.

Hannoveraner Nummer fünf im Hause Schneider zierte den Titel der Auktionsbroschüre bereits im Oktober 2015 bei der 132. Elite-Auktion und macht damit die Herkunft deutlich: Fohlenhofs Rock‘n Rose stammt ebenfalls aus der Familie der ehemaligen Auktionspferde. Die 2004 geborene Stute v. Rubin-Royal/Feiner Stern aus der Zucht von Heinrich Lahmeyer, Bassum, ist seit zwei Jahren im Beritt von Dorothee Schneider. Die beiden starteten erfolgreich in die Turniersaison – natürlich in der Königsklasse des Dressursports, dem Grand Prix. Nicht auf dem Gestüt St. Stephan zu Hause, aber im Beritt von Dorothee Schneider auf dem Peterhof in Perl-Borg ist Derano. Man kennt den Fuchswallach v. De Niro/Warkant aus der Zucht von Rudolf Quast, Jork, noch gut vom Finale des Nürnberger Burgpokals 2013, in dem er Zweiter wurde. Im Folgejahr macht er in Aachen im Prix St. Georg deutlich, dass er für die großen Vierecke gemacht ist. Sein Stallkollege ist der Doppelweltmeister der jungen Dressurpferde, Sezuan.

Dorothee Schneider wäre nicht Dorothee Schneider, wenn sie nicht all dies unter einen Hut bekäme. „Es ist alles eine Frage der guten Organisation und eines guten Teams“, verrät sie. Aber es ist mehr als eine perfekt strukturierte Taktung. Dorothee Schneider scheint ganz offensichtlich ein Organisationstalent zu sein. Das ist das Eine. Dabei kommen die Pferde aber nicht zu kurz. Sie konzentriert sich auf das Wesentliche, hat ihre Pferde fest im Blick und wird ihnen darüber hinaus gerecht. Das alleine kann der allseits bekannte Schlüssel zum Erfolg aber nicht sein. Die Ausbildung der Pferde trägt ihre Handschrift. Eine Handschrift, die feiner nicht sein kann. Der Fokus liegt auf der Ausbildung. Das hat man ganz deutlich bei den Weltmeisterschaften der jungen Dressurpferde gesehen. So gelang es ihr, den imposanten Hengst Sezuan fünfjährig zum Weltmeistertitel zu führen und ein Jahr später seine Ausbildungsentwicklung mit dem Weltmeistertitel der sechsjährigen zu krönen. „An den Veranstaltungsort Verden habe ich tolle Erinnerungen. Daran denke ich sehr gerne zurück“, antwortet sie auf die Frage, was sie mit der Reiterstadt Verden verbindet.

Ziel: Die Olympischen Spiele
Dennoch heißt ein Lebenstraum Rio de Janeiro. Dorothee Schneider ist gut vorbereitet und jetzt gilt es, auf den Sichtungsturnieren die Leistung ins Viereck zu bringen. Mit Showtime hat sie wieder ein Pferd, mit dem sie in der Klasse der Besten eine große Rolle spielt. Mit dem Sieg im Grand Prix Special bei den Munic Indoors mit über 80 Prozent hat das Paar seine Weltklasse skizziert. In Münche-Riem beim Pferd-International die Kür mit 84,3% gewonnen. Das sind beste Voraussetzungen für die weiteren Sichtungsturniere in Balve und Aachen.